„Eine Veranstaltung zum Thema Natur im Literaturhaus München wurde folgendermaßen angekündigt: „Natur boomt – nicht nur in der Literatur. Je mehr wir uns von der Natur entfremden, desto mehr sehnen wir uns nach ihr. In der Literatur zeigt sich Natur – jenseits von Kitsch und Klischee – als überraschend und verspielt, als unheimlich und verführerisch.“1
Das gilt auch für die Bildende Kunst und eben auch für die hier zur Besichtigung und Diskussion anregenden Arbeiten von Petra Spielhagen.
Die Natur ist ein jahrtausendealtes Motiv, mit dem die Literatur und auch die Kunst letztlich die Frage stellt: Was ist der Mensch?
Petra Spielhagen überrascht mit dokumentarischen Fotos von irritierender Schönheit einer völlig fehlentwickelten Landwirtschaft, die enorme Auswirkungen auf Umwelt und Klima hat.
Das Verständnis von Natur hat sich unter dem zivilisatorischen Einfluss immer stärker verändert und verschoben. Eine besonders radikale Entwicklung hat die Industrialisierung der Landwirtschaft als kapitalistisches System angestoßen, deren Resultate in Deutschland anhand der wunderbaren Arbeit von Petra Spielhagen zu sehen sind. Ihre fotografische Serie „Land (Kreis Borken)“ entstand 2013 während eines Stipendiums im Künstlerdorf Schöppingen und die Arbeit „Orange Glowing“ produzierte sie im Rahmen des Globalstipendium des Berliner Senats in Rotterdam 2015. Bilder beider Serien werden hier in Auszügen zum ersten Mal gezeigt, da sie erst vor kurzem von Petra Spielhagen editorisch bearbeitet und fertiggestellt wurden. Im Zentrum ihrer künstlerischen Forschung steht so gut wie immer der öffentliche Raum. „Mich beschäftigt, was dort passiert und wie Alltagssituationen zu Bühnen für ein mögliches Geschehen werden können.“
Für die beiden hier gezeigten Fotografieserien hat Petra Spielhagen die Nacht zum Tag gemacht und die nächtlichen Aktivitäten in brillanten Bildern festgehalten. In „Land“ sehen wir, wie riesige Landmaschinen, die eher der Vorstellung merkwürdiger und von Aliens gesteuerter Apparaturen gleichen, ausgestattet mit gleißend hellen Lichtern, die Äcker bearbeiten und in bizarres Licht tauchen. Der Zwang zu Effizienz und günstiger Produktion im run um immer bessere Ausbeute zwecks Überlebensstrategie im bezuschussten EU-Landwirtschaftssystem, hat eine Praxis der Monokultur auf riesigen Flächen befördert, die aus vielerlei Hinsicht eine klare Fehlentwicklung ist. Die auf Teufel komm raus nur auf Weltmarktpreis schielende Monokulturproduktion vernichtet die ökologische Vielfalt und führt mit Düngung und der Überausbeute zum Erodieren der Böden.
Aber, es geht Petra Spielhagen (…) nicht in erster Linie um Abrechnung und Anklage, sondern um die Schaffung ästhetischer Arbeiten, die verwundern und faszinieren und unser landläufiges Bild von der bäuerlichen Landwirtschaft völlig über den Haufen werfen.
Nüchtern beschreibt sie den Prozess der Arbeit: „Ich begleitete die Fahrer der Landmaschinen, die nachts wie Ufos über die Felder fahren, und verfolgte den Maisanbau vom Auslegen bis zur Ernte. Der Mais wird zu Futter für die Viehwirtschaft oder zu Energie in der Biogasanlage verarbeitet.“
Faktisch, ohne vorschnelles Urteil, beobachtet sie und registriert die nächtliche Arbeit auf den Feldern. Die dabei entstehenden Fotos sind geheimnisvoll, befremdend und dennoch sehr ästhetisch, ja schön. Wenn das blau/grün erstrahlende Feld der Aussaat samt Fuß des massiven Betonsockels eines Windrads illuminiert ist, und ganz hinten aus der Dunkelheit nur noch die gelben Radkappen eines Traktor und die roten Warnlichter der Windrotatoren leuchten, fügen sich diese Elemente zu einem beeindruckenden Stimmungsbild. Die Fotografien lassen deutlich werden, dass diese nächtliche Arbeit nichts mehr mit den tradierten Vorstellungen von Landwirtschaft zu tun hat und zu einer einsamen Tätigkeit unter großem Stress geworden ist. Die riesigen Maschinen werden jeweils von einer Person gesteuert, doch sind die Menschen auf den Fotografien kaum zu sehen. Nur einmal lässt sich schemenhaft eine männliche Gestalt am Steuer einer Maschine erkennen.
In der Serie „Orange Glowing“, die in den Niederlanden entstand, hat Petra Spielhagen ebenfalls in der Nacht die illuminierten Gewächshäuser gigantischen Ausmaßes mit Langzeitbelichtung fotografiert. Sie dienen der Blumenzucht, die ebenfalls höchst industrialisiert und im großen Maßstab organisiert ist. Menschenleere Flächen, hell erleuchtet wie beim morgendlichen Sonnenaufgang, oder mit dem Restlicht einer bereits hinter dem Horizont versinkenden Sonne, lassen die Betrachter ohne Hintergrundinformation über die Uhrzeit rätseln. So ästhetisch bezaubernd die Bilder wirken, sie sind Zeugnisse einer ungebändigten und völlig der Natur entzogenen Blumen- und Pflanzenproduktion, die das Wachstum über die 24-stündige Anregung des Phototropismus per Dauerbestrahlung enorm beschleunigt und zur marktkompatiblen Massenproduktion nutzt. Für die in der Nähe wohnenden Menschen ergibt sich noch das ganz andere Problem der Lichtverschmutzung; gemeint ist die dauernde Abwesenheit völliger Dunkelheit, was sich nachhaltig und negativ auf Schlafbedingungen und Psyche auswirkt.
Auf einer Aufnahme ist irritierenderweise ein aufgrund der Langzeitbelichtung verwackeltes Schaf zu erkennen, das in dieser technoid künstlich wirkenden Kulisse völlig deplatziert erscheint.
Es sind insgesamt sechs Leuchtrahmen mit Bildern aus der Serie „Orange Glowing“ installiert. Eines dieser mit LED-Licht von hinten beleuchteten Großdias überrascht mit zwei vermeintlichen Sonnen und ihren Aureolen, die in ihrer Farbigkeit entfernt an die betörende Stimmung einer William-Turner-Malerei erinnern.
Die Spannung zwischen romantischen Stimmungen in einer warm-leuchtenden Farbigkeit und einer problematischen Postmoderne einer völlig aus dem Ruder gelaufenen industriellen Produktion ist von Petra Spielhagen intendiert.
Bilder können nicht nur Augen öffnen, sondern eine metaphorische Tür im Kopf, um dort zu einer neuen oder geschärften Weltbetrachtung zu gelangen. Das vermögen diese Werke.
https://www.literaturhaus-muenchen.de/ausstellung/natur-in-der-literatur/